Erich Keller, Otmar Issing und Lutz Linienkämper bei einem Vortrag von Otmar Issing auf Schloss Hachenburg ©Fotostudio Röder-Moldenhauer

Otmar Issing gibt Einblicke in die Welt der Geldpolitik

Lutz Linienkämper bei seiner Eröffnungsrede anlässlich des Vortrag von Otmar Issing an der Hochschule der Bundesbank ©Fotostudio Röder-Moldenhauer
Lutz Linienkämper
Otmar Issing benötigte keinen Handzettel. Frei und ohne Notizen gewährte der langjährige Chefvolkswirt der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank (EZB) im Vorlesungssaal der Bundesbank-Hochschule in Hachenburg Einblicke in sein außergewöhnliches Leben – festgehalten auch in seinem Buch „Von der D-Mark zum Euro“. Für viele Menschen, und auch für mich, sind Sie ein höchst glaubwürdiger Vertreter der deutschen Stabilitätskultur, betonte Vorstandsmitglied Lutz Lienenkämper in seiner Begrüßungsrede vor rund 100 Gästen. 

Otmar Issing bei seinem Vortrag an der Hochschule der Bundesbank ©Fotostudio Röder-Moldenhauer
Otmar Issing
Doch dass der 89-jährige Issing überhaupt einmal im Dienst der Bundesbank stehen würde, hätte er zu Beginn seiner beruflichen Karriere wohl selbst nicht geglaubt. Als Forscher und akademischer Lehrer schien er seinen dauerhaften Platz an der Universitätgefunden zu haben. Das war mein Wunschberuf. Ich war im Sachverständigenrat der Bundesregierung und international bestens vernetzt. Ich habe keine Sekunde daran gedacht, etwas anderes zu machen, sagte Issing. Doch dann lud ihn der damalige Bundesbank-Präsident Karl Otto Pöhl nach Frankfurt ein, um über geldpolitische Fragen zu diskutieren – und alles kam anders.

Denn es steckte mehr hinter dem Treffen, das mein Leben verändern sollte, wie Issing während seines rund einstündigen Vortrags schilderte. Mitten im Gespräch habe ihm Pöhl die Idee eröffnet, ob er gegebenenfalls bereit wäre, als Nachfolger Helmut Schlesingers die Verantwortung für den Bereich Volkswirtschaft in der Bundesbank zu übernehmen. Daraus wurde schließlich Realität. Issing wurde im September 1990 ins Direktorium der Bundesbank berufen. 

Direkten Draht zu den Mitarbeitern

Diesen Wechsel machte sich Issing jedoch nicht leicht. Doch die Aussicht, mein theoretisches Wissen bei der angesehensten Notenbank der Welt in die Praxis umzusetzen, war einfach zu verlockend. Bei der Bundesbank arbeitete er mit tollen, hochengagierten und kompetenten Mitarbeitern zusammen und brachte zudem viele Neuerungen ein. „Wenn ich zum Beispiel etwas über die aktuellen Nahrungsmittelpreise wissen wollte, war es bis dato üblich, den Hauptbereichsleiter Volkswirtschaft zu fragen. Der wusste es natürlich genau so wenig wie ich und suchte den zuständigen Ökonomen. Die Anfrage lief dann über den gleichen Weg zurück. Daher habe ich alle Abteilungsleiter einberufen und gesagt: ‚In Zukunft rufe ich den jeweiligen Experten direkt an. Dadurch habe ich auch neue Motivation bei den Mitarbeitern geweckt, die mir das zurückgegeben haben, blickte Issing zurück und betonte in seinem Vortrag ausdrücklich, dass die Unabhängigkeit der Bundesbank eine große Stärke sei.

Bis ins Jahr 1998 sollten es insgesamt acht Jahre im Direktorium der Bundesbank werden, ehe er die Welt der Notenbanken noch einmal aus einer anderen Perspektive kennenlernte: Issing wurde Chefökonom der neu gegründeten EZB und war dort für die Generaldirektionen Forschung und Wirtschaft verantwortlich. Die Bundesbank war eine eingeölte Maschine. Wenn irgendwo in der Welt etwas passierte, hatte man zwei Tage später einen Bericht darüber vorliegen. Bei der EZB war das eine ganz andere Welt, beschreibt Issing die Anfänge, in denen es erst einmal darum ging, die nötigen Strukturen aufzubauen. Denn Daten und Statistiken über den neuen Währungsraum gab es in der Anfangszeit schlicht nicht. 

Vertrauen in den Euro geweckt

Neben dem Präsidenten Wim Duisenberg wurde Issing als einziger für die höchstmögliche Amtszeit von acht Jahren berufen. Im Mai 2006 schied er schließlich turnusgemäß aus dem Direktorium aus, nachdem er die EZB als Chefvolkswirt erfolgreich durch die ersten Jahre geführt hatte und maßgeblich dazu beitrug, dass die Menschen der Währung Euro bis heute vertrauen.

Seine Expertise war freilich weiterhin gefragt – auch von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Issing nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 per Telefon kontaktierte. Es war ein Sonntagabend. Es war niemand dazwischengeschaltet, konnte Issing erst nicht glauben, dass am anderen Ende der Leitung wirklich die Bundeskanzlerin war. Als sie mir das dann aber versicherte, meinte ich: ‚Ich bitte um Entschuldigung. Aber ich gehöre nicht zu denen, die denken, dass es höchste Zeit ist, dass die Kanzlerin mich einmal anruft‘, sagte Issing mit einem Schmunzeln. Im Oktober 2008 übernahm er dann den Vorsitz einer Expertengruppe, die im Auftrag der Bundesregierung Vorschläge für eine Reform der internationalen Finanzmärkte erarbeitete.

Genießt „größte Hochachtung“

Erich Keller bedankt sich in einer Rede bei Otmar Issing ©Fotostudio Röder-Moldenhauer
Erich Keller
Im Anschluss an den Vortrag – nach dem es lange anhaltenden Applaus gab – bedankte sich Erich Keller, Gastgeber und Rektor der Hochschule, für die spannenden Einblicke. Issing sei in allen Fragen der Währungs- und Wirtschaftspolitik im wahrsten Sinne des Wortes ein ‚Elder Statesman‘, der in Wissenschaft und Politik höchste Anerkennung genießt, hatte Keller bereits in seiner Begrüßung betonte. Zum Abschluss moderierte der Rektor dann die Diskussionsrunde. Dabei beantwortete Issing alle Fragen aus dem Stegreif. Natürlich ohne auf Notizen oder einen Handzettel zurückzugreifen.