Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn ©Matthias Ketz

Hans-Werner Sinn zu Gast in Hachenburg

Vor mehr als 200 Gästen sprach der Ökonom Hans-Werner Sinn an der Hochschule der Bundesbank in Hachenburg. Der langjährige Präsident des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung ging in seinen Vortrag auf die aktuelle Entwicklung der Weltwirtschaft sowie auf die Lage im Euroraum ein.

Protektionismus in der EU

Mit Blick auf die Freihandelsdebatte vertrat Sinn die Ansicht, dass sich die EU gegenüber den USA protektionistisch verhalte. "Das gilt nicht nur für die Zölle, die sie auf US-Autoimporte erhebt. Die EU betreibt auch Agrarprotektionismus, das ist sogar ein Konstruktionsprinzip der EU." Die EU-Agrarpreise lägen 20 Prozent über dem Weltmarktniveau, dadurch würden europäische Bauern geschützt. Das sei eine komplexe Subventionsmaschinerie. Sinn plädierte eindringlich für den freien Handel und Warenverkehr: "Das ist kein Nullsummenspiel, die Wohlstandsgewinne überwiegen. Aber natürlich gewinnen nicht alle, und schon gar nicht die Agrarlobby."

Hans-Werner Sinn vor Studierenden der Hochschule ©Matthias Ketz
Hans-Werner Sinn vor Studierenden der Hochschule

Fataler Brexit

In der Brexit-Debatte kritisierte Sinn die deutsche Politik: "Vor der bisherigen Haltung ‚Reisende soll man nicht aufhalten' kann ich nur warnen. Wer so redet, will entweder von eigenen Versäumnissen ablenken oder ist naiv." Schließlich habe die ordnungspolitische Haltung des Vereinigten Königreichs mit dem Einsatz für offene Märkte der deutschen Wirtschaft viele Vorteile gebracht. Mit dem Austritt Großbritanniens würden jetzt die freihandelsorientierten Länder in der EU ihre Sperrminorität von 35 Prozent verlieren. Besteht noch die Chance für einen Exit vom Brexit? Sinn ist skeptisch, hat die Hoffnung aber noch nicht ganz aufgegeben: "Wenn die Brexit-Verhandlungen sehr stark auf der Stelle treten, könnte sich vielleicht nochmal die Gelegenheit ergeben." Aber dann müsse man den Briten auch etwas anbieten, um sie in der EU zu halten – und die Bereitschaft der EU zu solchen Zugeständnissen stufte Sinn als sehr niedrig ein.

Hans-Werner Sinn mit Rektor Erich Keller ©Matthias Ketz
Hans-Werner Sinn mit Rektor Erich Keller

"Insel der Seligen"

Deutschland präsentiere sich in diesem Umfeld, so Sinn, derzeit als "Insel der Seligen". "Der Ifo-Geschäftsklima-Index ist so positiv wie seit 1991 im Zuge des Wiedervereinigungsbooms nicht mehr", sagte der Wissenschaftler, selbst wenn der drohende Brexit und die Debatte über den Welthandel die Erwartungen der Unternehmen zuletzt leicht eingetrübt hätten. Während die deutsche Wirtschaft vor Kraft strotze, sah Sinn die Krise in Südeuropa noch nicht als überwunden an. Er zeigte in einer Grafik auf, dass die Produktion im verarbeitenden Gewerbe in Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und Griechenland immer noch deutlich unter dem Niveau vor der Finanzkrise liege. Der dort durch eine Niedrigzins- und Fiskalpolitik angestoßene keynesianische Aufschwung werde das Problem nicht lösen, das Gegenteil sei der Fall: "Dieses Strohfeuer ist sogar schädlich für die Länder, weil das eigentliche Problem, die nicht wettbewerbsfähigen Löhne, nicht angepackt und sogar künstlich überlagert wird."

Austritt als Chance

Sinns Szenario für eine Lösung der Euro-Krise sieht einen Schuldenerlass für nicht mehr wettbewerbsfähige Länder vor, der dann auch mit einem Austritt aus dem Euroraum verknüpft sein sollte. "Nur dann können diese Länder nach einer Abwertung wieder auf eigenen Beinen stehen", sagte der Wirtschaftswissenschaftler. Ein Austritt eines Landes sei nicht das Ende des Euro, sondern vielmehr der Weg zu einem dauerhaft stabileren Währungsraum mit homogeneren Volkswirtschaften.