Federal Reserve Bank of Saint Louis ©Siede Preis/Getty Images

Das Tor zum Westen – ein Forschungs- und Praxisaufenthalt in St. Louis und Umgebung von Prof. Dr. Beate Jüttner-Nauroth

An der Universität

Hätte man mich vor 20 Jahren gefragt, ob ich über meine Zeit an der New York University (NYU) einen Erfahrungsbericht schreiben könne, so wäre mir das nicht schwer gefallen. Denn die Tage als Doktorandin sind durch die in den USA verpflichtenden Lehrveranstaltungen stark strukturiert. Heute gestaltet sich dies allerdings deutlich schwieriger. Der Grund dafür ist, dass man in diesen zwanzig Jahren vom „Anfänger“ zum „alten Hasen“ mutiert, dem zum einen mehr Freiheitsgrade eingeräumt werden und mit dem zum anderen häufiger über wahrgenommene Entwicklungen, Art der Ausgestaltung von Arbeitsverträgen, Hochschulpolitik und ähnliches gesprochen wird.  Diese vertraulichen Gespräche können natürlich nicht Inhalt von Erfahrungsberichten sein.

Ich habe auf dem Campus der SIUE in der Nähe eines Sees gewohnt. Die Anlage erinnerte an einen Golfplatz: Rasen und Seen. Die SIUE wirbt damit, einer der sichersten Hochschulplätze der USA zu sein, demzufolge gibt es viel Personal bei der SIUE Police. Mit der SIUE Police ist nicht zu scherzen:  Studentenappartements werden ohne Vorankündigung untersucht und alles Verbotene (Waffen, Drogen und Alkohol und  - aufgrund  der Holzhäuser -natürlich Kerzen) aktenkundig gemacht und sofort beseitigt. Je nach Vergehen drohen den Studenten unterschiedliche Strafen, bis hin zum Verlust ihrer Wohnung.  Es gibt auch auf dem gesamten Hochschulgelände in ungefähr 30 Metern Abstand Alarmsäulen, die bei entsprechender Betätigung sofort die SIUE Police verständigen.   

Wie  an allen US-amerikanischen Universitäten ist das Sportangebot  gigantisch. An der SIUE gibt es einen Swimmingpool, eine Kletterhalle, ein Wrestling Center, mehrere Indoor-Basketballfelder, Indoor-Laufbahnen, Racquetballplätze, riesige Fitnessstudios, Tennisplätze, Softball- und American Football- sowie Baseball- und Fußballfelder. Dazu gibt es auch ein ausuferndes Kursangebot. Studierende haben über ihre Studiengebühren kostenlos die Möglichkeit, an allen sportlichen Aktivitäten teilzunehmen.

Über die Studiengebühren wird auch ein äußerst komfortables Bussystem finanziert, das Wohn- aber auch Institutsgebäude der gesamten Universität verbindet und auch den Busbahnhof von Edwardsville einbezieht. Ich konnte aber alles auf dem Campus mit dem Fahrrad erledigen. Nicht nur Edwardsville, sondern viele am Mississippi gelegene Städte haben die alten Bahntrassen zu Fahrradstraßen umfunktioniert.  Grund für dieses ausufernde Fahrradnetz ist also die große wirtschaftliche Bedeutung von St. Louis in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Zum Thema Studiengebühren: An der SIUE muss ein Student mindestens $10.000 pro Semester zahlen, „Housing Costs“ kommen dann noch dazu. Viele müssen daher nebenbei – wie deutsche Studierende  auch – für den täglichen Lebensunterhalt arbeiten.  

Diese hohe wirtschaftliche Belastung mag auch für das Verhalten der Studierenden in Vorlesungen verantwortlich sein. Normalerweise gibt es dort Präsenzpflicht. Aber auch ohne diese – so sagten mir Lehrende - sind nahezu 100% der Studentinnen und Studenten in den Vorlesungen anwesend. Dabei – das ist für den Betrachter augenfällig – gibt es keine Studierenden, die zu spät kommen und es gibt auch keinen Lärmpegel. Die SIUE versteht sich vor allem als Hochschule, die der Lehre verpflichtet ist. Im Unterschied zu mir bekannten Studiengängen in Deutschland gehen in die Leistungsbeurteilung von Studierenden viele Ausarbeitungen ein, die während des Semesters von den Studierenden einzureichen sind.

In der Forschungsabteilung

Mein Arbeitsplatz an der Federal Reserve (FED) of St. Louis war in einem wunderschönen, Anfang des 20. Jahrhunderts erbauten Sandsteingebäude.  Als ich die Sicherheitskontrolle in der FED of St. Louis am ersten Tag passiert habe, bekam ich einen Ausweis mit der Aufschrift „Visitor“, ab dem zweiten Tag war ich dann schon „Trusted Visitor“. Die Forschungsabteilung der FED of St. Louis ist groß. Am gleichen Tag wie ich begannen noch vier weitere Forscher ihre Arbeit. Dabei ist es so, dass manche Forscherinnen und Forscher nur einen oder einige Tage bleiben, manche aber auch sechs Monate oder ein Jahr. Auch gibt es eine Kooperation mit der Washington University in St. Louis. Es kommen Fachleute, die mit den Forscherinnen und Forscher der FED of St. Louis zusammenarbeiten und solche, die ihre eigenen Projekte verfolgen. Ich bin Betriebswirtin und habe mich deshalb  vor allem mit dem Einfluss von Inflation auf Rechnungslegungsgrößen beschäftigt. Da sich das Jahr dem Ende neigte und viele Forscherinnen und Forscher noch ihre Forschungspapiere oder Ideen vorstellten sowie Papiere von Forscherinnen und Forschern anderer Institutionen präsentiert wurden, waren die Wochen gut mit Seminaren gefüllt.

Das bekundete Interesse an Deutschland war sowohl an der Universität als auch an der FED groß. Edwardsville ist  eine stark durch deutsche Einwanderer geprägte Stadt. Namen wie Brueggemann, Bohnenstiehl, Sauer, Koester und Mainzer sind keine Seltenheit. An der örtlichen High School und an der Universität wird Deutsch unterrichtet. Doch die Nachfrage wird immer geringer. Eine Museumsdirektorin aus Chicago besuchte mich und berichtete, dass in Chicago das Fach „Deutsch“ durch die Fächer „Chinesisch oder Japanisch“ ersetzt wurde.

Einige Forscher aus der Forschungsabteilung der FED, die recht international aufgestellt ist, interessierten sich besonders für die treibenden Faktoren der Wirtschaftskraft und des wirtschaftlichen Erfolges Deutschlands.