Jens Weidmann bei einer Rede vor Studierenden der Hochschule in Hachenburg ©Matthias Ketz

Präsident Weidmann in Hachenburg

Alle Sitze im rund 200 Personen fassenden Vortragssaal der Hochschule in Hachenburg waren besetzt, zusätzliche Stühle mussten herangeschafft werden. So groß war das Interesse unter den Studierenden, als Präsident Jens Weidmann an der Hochschule in Hachenburg über "Perspektiven für den Euroraum" sprach. In seiner Rede ging der Präsident auf die Herausforderungen ein, die sich dadurch ergäben, dass es in der Europäischen Währungsunion zwar eine gemeinsame Geldpolitik gebe, aber 19 weitgehend nationale Finanz- und Wirtschaftspolitiken. "Diese besondere Konstruktion macht die Währungsunion nicht nur einzigartig, sie macht sie auch anfällig", sagte Weidmann. Der Grund: "In einer Währungsunion sinken die Anreize zu einer soliden Haushaltspolitik. Denn die Folgen einer übermäßigen Verschuldung in einem Mitgliedstaat lassen sich zumindest teilweise auf die Gemeinschaft abwälzen." Deshalb untersage der Maastricht-Vertrag einerseits den Mitgliedstaaten, für die Schulden eines anderen Staates der Währungsunion einzustehen (sogenannte Nicht-Beistandsklausel), andererseits verbiete er die monetäre Finanzierung von Staaten durch das Eurosystem. Neben diesen Regeln vertrauten die Befürworter der Währungsunion auch auf die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte, die überhöhte Schulden mit höheren Zinsen bestrafen würden. In der Praxis der Währungsunion habe dies, so Weidmann weiter, jedoch nicht funktioniert. "Weder die Regeln noch die Finanzmärkte haben eine Schuldenkrise im Euro-Raum verhindert." Die Rettungsmaßnahmen der Euroländer und des Eurosystems hätten zwar eine Eskalation der Krise verhindert, aber die Währungsunion nicht dauerhaft krisenfester gemacht. "Sie haben vielmehr das Prinzip der Eigenverantwortung geschwächt. Und damit geriet das Verhältnis von Handeln und Haften aus dem Gleichgewicht."

Vorschlag: Privilegierung von Staatsanleihen abschaffen

Weidmann skizzierte zwei Möglichkeiten: "Entweder die Mitgliedstaaten übertragen Entscheidungskompetenzen in der Fiskal- und Wirtschaftspolitik an die europäische Ebene, oder man besinnt sich auf den ursprünglichen Maastricht-Rahmen." Da die erste Option Änderungen am EU-Vertrag erfordere, was derzeit eher unrealistisch sei, bleibe wohl nur die zweite Option. Weidmann plädierte dafür, die in den vergangenen Jahren mehrfach reformierten Fiskalregeln zu vereinfachen und den politischen Ermessensspielraum zu reduzieren. Nur so könne man die Bindungswirkung erhöhen. Und um die Glaubwürdigkeit der Nicht-Beistandsklausel zu stärken, sollte eine geregelte Restrukturierung von Staatsanleihen möglich sein ohne dass dadurch die Stabilität des Finanzsystems gefährdet wird. "Die Bundesbank schlägt deswegen eine automatische Laufzeitverlängerung, zum Beispiel um drei Jahre, für die Anleihen von Staaten vor, die ein Hilfsprogramm des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanismus, beantragen." In dieser Zeitspanne könne der ESM dann auch besser erkennen, ob ein Staat "vorübergehend illiquide oder tatsächlich zahlungsunfähig ist". Schließlich dürfe der ESM nur bei Liquiditätsschwierigkeiten helfen, andernfalls sei ein Schuldenschnitt die logische Konsequenz. Vor diesem Hintergrund erneuerte Weidmann auch den Vorschlag der Bundesbank, die Privilegierung von Staatsanleihen abzuschaffen.

Wo ist der Spielraum für die Geldpolitik?

Abschließend ging Weidmann auf die aktuelle geldpolitische Lage ein und verdeutlichte, dass man sich im EZB-Rat zwar einig sei, dass in der Geldpolitik derzeit "eine expansive Ausrichtung grundsätzlich angemessen ist", es über das Ausmaß des notwendigen geldpolitischen Expansionsgrads aber unterschiedliche Auffassungen gebe. Das seit immerhin 17 Quartalen anhaltende Wirtschaftswachstum im Euro-Raum sorge dafür, dass der "binnenwirtschaftliche Preisdruck allmählich" zunehme. "Vor diesem Hintergrund wäre aus meiner Sicht eine raschere Beendigung der Nettokäufe von Wertpapieren mit klarem Ende durchaus angezeigt gewesen", sagte Weidmann.

Nach dem Vortrag nutzten die Studierenden die Möglichkeit, dem Präsidenten Fragen zu stellen und mit ihm über aktuelle geldpolitische Lage zu diskutieren. Dabei bekräftigte Weidmann abermals seine Überzeugung, dass die derzeitige Geldpolitik "keine Normalität darstellt und auch wieder mit Zinserhöhungen zu rechnen ist". Das Eurosystem habe ein klares Mandat, an dem es die Geldpolitik ausrichten müsse. Es könne keine Rücksicht auf die Finanzpolitik in einzelnen Ländern nehmen.

Am Ende der gut einstündigen Veranstaltung gab es langanhaltender Beifall im Publikum. Sohejla Bryatloo, die derzeit das Grundstudium absolviert, erlebte den Präsidenten zum ersten Mal und war total begeistert: "Sein Vortrag war sehr spannend. Und Herr Weidmann war auch sehr menschennah und überhaupt nicht abgehoben, wie man es vielleicht von einem Präsidenten erwarten könnte." Vincent Marquardt aus dem Vertiefungsstudium war auch sehr angetan: "Es war sehr interessant. Ohne eine Folie hat er geschafft, das Publikum zu fesseln." Auch nach dem offiziellen Ende diskutierte Präsident Weidmann mit einigen Studierenden noch eine Zeit lang weiter. Kurz vor 20 Uhr verließ der Bundesbankpräsident das Schloss - ein Abend, den viele Studierenden in Hachenburg so schnell nicht vergessen werden.

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